Kollegiatstift St. Blasius, Braunschweig

Das im Jahr 1038 gegründete Stift St. Blasius in Braunschweig wurde unter dem Welfenherzog Heinrich dem Löwen (um 1130 – 1195) zur Hofkirche. Er stattete die Kirche im Jahr 1173 reich aus und bestimmte sie zur Grablege seiner Familie. Die Kanoniker versahen für den Herzogshof nicht nur liturgische und pastorale Aufgaben, sondern dienten auch in der Kanzlei und im Beraterkreis der Herzöge. Die berühmteste Handschrift aus St. Blasius ist das Evangeliar Heinrichs des Löwen und Mathildes von England, das im Auftrag des Herzogspaars in den 1180er Jahren für den Marienaltar in der Stiftskirche geschaffen wurde. Nach Jahrhunderten der Entfremdung kehrte dieses Prachtstück 1989 in seine Heimat zurück und wird seither in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel aufbewahrt.

Neben diesem spektakulären Codex sind aus St. Blasius weitere 135 Bücher aus dem Mittelalter erhalten. Dabei lassen sich zwei Gruppen deutlich unterscheiden. Zum einen die 68 liturgischen Handschriften, die bis ins 19. Jahrhundert in situ verblieben und erst 1834 dem Landesarchiv in Wolfenbüttel zur Aufbewahrung übergeben wurden. Zum anderen 54 Handschriften und 14 Inkunabeln, die sich heute in der Herzog August Bibliothek befinden. Weitere 5 Bände befinden sich heute verstreut in Braunschweig, Hildesheim und Berlin.

In den 1470er Jahren wurde die Stiftskirche unter Herzog Wilhelm dem Siegreichen an ihrer Nordseite um eine zweischiffige Halle errichtet, die vom spätgotischen, für England typischen Perpendicular Style inspiriert ist. Auch nach der endgültigen Einführung der Reformation im Jahr 1568 blieb die Stiftskirche unter dem Patronat der Herzöge eine Institution zur Versorgung der hohen Geistlichkeit im Herzogtum.

Die Geschichte der Stiftbibliothek ist bisher wenig erforscht. Das älteste Inventar stammt aus dem Jahr 1602, als der Kanoniker Paul Chemnitz einen Handschriftenkatalog anlegte. Der Übergang von Handschriften aus St. Blasius in die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel erfolgte unter Herzog August dem Jüngeren (1579-1666). Der bibliophile Herzog, der zu Beginn seiner Regierung 1635 kriegsbedingt nicht in Wolfenbüttel, sondern in Braunschweig und damit in unmittelbarer Nachbarschaft von St. Blasius residierte, veranlasste 1636 beim Dekan des Stifts die Anfertigung eines vollständigen Bibliotheksinventars. In Augusts Handschriftensammlung sind vor allem großformatige medizinische, theologische und juristische Codices, vielfach Sammelhandschriften, eingegangen. Bis auf wenige Ausnahmen stammen diese Handschriften aus dem 15. Jahrhundert. Sie spiegeln die damaligen gelehrten und praktischen Interessen der Stiftsherren wider. Die Beschreibungen in Otto von Heinemanns Handschriftenkatalogen der Augusteischen Handschriften (1890-1903) bedürfen vielfach der Korrektur. Die Blasius-Handschriften sind somit ein lohnender Gegenstand für künftige Forschungen, die durch die Digitalisierung dieser Codices erleichtert werden soll.

  • Christian Heitzmann

Weiterführende Literatur

Ulrich Schwarz: Braunschweig, Kollegiatstift St. Blasius, in: Josef Dolle (Hrsg.), Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 1, Bielefeld 2012, S. 102-123

Anette Haucap-Naß: Die Stiftskirche von St. Blasius in Braunschweig. Ein Überblick mit eienr Handliste der nachweibaren Handschriften und Drucke aus dem Blasiusstift, in: Bernd Schneidmüller (Hrsg.), Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter, Wiesbaden 1995 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 7), S. 205-225

Helmar Härtel: Anmerkungen zu einem Katalogprojekt der mittelalterlichen Liturgica aus der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig, in: ibid., S. 227-236