Augustinerchorfrauenstift Marienberg, Helmstedt

Das Augustiner-Chorfrauenstift Marienberg wurde 1176 oder 1181 auf Eigengut des Helmstedter Benediktinerklosters St. Ludgerus durch dessen Abt Wolfram gestiftet. Möglicherweise diente eine zuvor an der Stelle eines Marienwunders errichtete Kapelle als Keimzelle der Stiftung, als deren erste Priorin vermutlich Wolframs Schwester amtierte. Das Datum 1181 markiert vermutlich die Besetzung der Neugründung mit Stiftsdamen aus Steterburg bei Braunschweig. Das Stift wurde vorrangig von adligen Damen frequentiert und war reichlich mit Grundbesitz ausgestattet, so dass schon 1235 die Zahl der Bewohner auf 40 Chorfrauen, fünf Priester und vier Konversen beschränkt werden musste – dennoch konnte 1242 vom Stift aus in der Nähe ein zweites Chorfrauenstift, Marienborn, gegründet und besetzt werden.

Über den Bücherbestand aus der Frühzeit des Stifts liegen keine Nachrichten vor; den wohl ältesten sicher lokalisierten Buchbesitz markiert ein mit prächtigen Initialen ausgestattetes dreibändiges Brevier für den Chorgebrauch, das um 1300 für die Marienberger Priorin Mechthild von Warberg (1294–1307) angefertigt worden ist. Die sorgfältige Tiefenerschließung des Breviers erbrachte eine Reihe von Erkenntnissen, die das geistige Leben im Stift in ein neues Licht treten lassen: Offenbar befanden sich unter den Marienberger Stiftsdamen (oder unter den sie betreuenden Priestern) talentierte Hymnendichter, denn eine Reihe von Gesängen ist nur aus diesem Konvent bekannt. Außerdem wurden eigene Offizien für die zweite Hauspatronin Anna angelegt; aus Goslar wurde das dort von dem Geistlichen Friedrich von Jerxheim gestiftete Fest der Verklärung Christi (transfiguratio domini) samt dem zugehörigen Offizium übernommen.

Damit konnte eine Reihe charakteristischer Merkmale liturgischer Handschriften aus Marienberg festgestellt werden, die er erlaubten, sukzessive weitere 26 Codices Helmstadienses diesem Bestand zuzuweisen, von denen bislang nur zwei durch einen Besitzvermerk kenntlich gemacht waren. Offenbar setzt die Produktion von liturgischen Handschriften in Marienberg schon im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts ein und erreichte zweihundert Jahre später mit der Reform des Stifts einen neuen Höhepunkt: 1459–1461 führte der bekannte Klosterreformer und Chronist der Devotio moderna, Johannes Busch, die Gewohnheiten der reformierten Windesheimer Augustinerkongregation in Marienberg ein. Während in vielen anderen reformierten Klöstern die älteren Buchbestände, insbesondere Liturgica, ausgemustert und zu Makulatur verarbeitet wurden, waren die Marienberger Stiftsdamen sehr zum Missfallen der Windesheimer Visitatoren nicht dazu zu bewegen, sich von ihren Codices zu trennen. Sie blieben neben den zahlreichen neu geschriebenen, gekauften oder geschenkten liturgischen und theologischen Büchern in Handschrift und Druck weiterhin erhalten.

Als Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg im März 1572 seinen Beauftragten zur Revision der Marienberger Bibliothek entsandte, fand er im Stift einen Schatz von insgesamt 292 Handschriften und Drucken vor, von denen am 16. April 1572 zunächst ein Teil der Liturgica nach Wolfenbüttel gebracht wurde. Die meisten Texthandschriften hingegen verblieben zunächst in dem zu einem bis heute existierenden protestantischen Damenstift mit sechs Bewohnerinnen umgewandelten Konvent und wurden erst mehrere Jahrzehnte später von Herzog August dem Jüngeren abgeholt. Bislang konnten erst etwas mehr als 60 Handschriften und acht Drucke aus Marienberg zweifelsfrei identifiziert werden; für die weitere Forschung und Erschließung bleibt angesichts der zahlreichen, noch nicht zugewiesenen Breviere, Missalien, Psalterien und Gebetbücher insbesondere des Helmstedter Handschriftenfonds noch genügend zu tun.

  • Bertram Lesser

Weiterführende Literatur

Ulrike Strauss, Das ehemalige Augustinerchorfrauenstift Marienberg bei Helmstedt, Braunschweig 1983 (Beihefte zum Braunschweigischen Jahrbuch 1)

Urkundenbuch des Augustinerchorfrauenstiftes Marienberg bei Helmstedt, bearbeitet von Horst-Rüdiger Jarck, Hildesheim 1990 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 37, Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter 24, Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Landesgeschichte 32)

Horst-Rüdiger Jarck, Article: “Helmstedt – Augustiner-Chorfrauen, später Damenstift (Marienberg, 1176/81 bis zur Gegenwart)”, in: Niedersächsisches Klosterbuch. Verzeichnis der Klöster, Stifte, Kommenden und Beginenhäuser in Niedersachsen und Bremen von den Anfängen bis 1810, 4 vols., hrsg. von Josef Dolle und Dennis Knochenhauser, Bielefeld 2012 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 56/1–4), vol. 2, pp. 636–643