Benediktinerkloster Clus

Das kleine Kloster Clus hatte seinen Ursprung, wie der Name besagt, in der Zelle einer Einsiedlerin, einer “Klause”. Bischof Berthold I. von Hildesheim weihte das Kloster im Jahre 1124, die ersten Mönche kamen aus dem berühmten Kloster Corvey an der Weser. Von dort brachten sie auch ihre älteste und wertvollste Handschrift mit: Das im 10. Jahhrundert entstandene Evangeliar Cod. Guelf. 84.3 Aug. 2° gehört mit seiner sorgfältigen Schrift und den prachtvollen Initialseiten im frankosächsischen Stil zu den Spitzenstücken des Corveyer Scriptoriums. Als der evangelische Cluser Abt Johannes Rittierodt 1637 vor den Wirren des Dreißigjährigen Krieges nach Braunschweig floh, übergab er den kostbaren Codex zusammen mit der Cluser Chronik des Mönchs Heinrich Bodo (Cod. Guelf. 19.13 Aug. 4°) an Herzog August von Braunschweig-Lüneburg.

Welche Bücher und wie viele die kleine und zunächst wenig bedeutende Abtei sonst noch besaß, ist unbekannt – Kataloge sind nicht überliefert und mehrere Brände haben die Codices vernichtet. Allein von den Liturgica haben zahlreiche Fragmente in den Einbänden aus der Cluser Buchbinderei die zeiten überdauert. Ziemlich genau ab dem Jahre 1400 sind wieder ganze Handschriften mit Werken britischer und irischer Autoren wie John of Wales (Johannes Guallensis), Thomas de Hibernia oder Nicolaus Trevet erhalten.

Erst als im Jahre 1430 der Klosterreformer Johannes Dederoth zum Abt gewählt wurde, trat Clus aus dem Schatten der Geschichte heraus. Dederoth wurde wenig später gleichzeitig Abt von Bursfelde und damit Begründer der reformierten Bursfelder Benediktinerkongregation, die 1446 vom Basler Konzil bestätigt wurde. 1517 umfasste der Verband rund 90 Klöster in Nord- und Westdeutschland, den Niederlanden, Dänemark sowie im heutigen Belgien und Luxemburg. Obwohl der Verband dem Kloster Bursfelde seinen Namen verdankte, bildete Clus im Bewußtsein der zeitgenössischen Chronisten den eigentlichen Ausgangspunkt der neuen Reform. Mit der Erneuerung des regelgemäßen Klosterlebens gingen auch ein wirtschaftlicher Aufschwung und der bewußte Ausbau der Klosterbibliothek einher; zahlreiche Bücher wurden entweder in Clus selbst geschrieben, gekauft oder gelangten als Geschenke in den Besitz der Mönche. Der eifrige und akribisch arbeitende Cluser Buchbinder Johannes von Brakel versah mehr als einhundert Bücher mit neuen Einbänden. Diese Aufbauarbeit läßt sich bis weit ins Zeitalter des Buchdrucks bis etwa 1540 verfolgen. Der gesamte Buchbestand des Klosters dürfte demnach im 16. Jahrhundert etwa 250 bis maximal 300 Bände umfasst haben, die in zwei Bibliotheksräumen auf Pulten aufbewahrt wurden. Von diesen ist der größte Teil erhalten geblieben; nach den neuesten Forschungen sind bislang aus Cluser Besitz 121 Handschriften (davon 106 in der HAB), ein Mischband und 91 Bände Drucke mit ca. 160 Titeln bekannt. Sie enthalten hauptsächlich theologische, monastische und liturgische Texte und entsprechen damit weitgehend dem aus der Forschung bekannten Bild von den typischen Lese- und Studieninteressen reformierter Benediktinermönche.

Dieser Bücherschatz ist vor allem aufgrund einer herzoglichen Anordnung der Zerstreuung entgangen: Im Jahre 1619 verfügte Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Lüneburg (1591–1634), dass die Bücher des von einem mittlerweile protestantischen Restkonvent bewohnten Klosters Clus der braunschweigischen Landesuniversität in Helmstedt zu übergeben seien. Am 24. Januar 1624 wurden die Cluser Bücher von zwei Helmstedter Professoren abgeholt und in die Universitätbibliothek überführt. In Clus blieben allerdings noch 51 weitere Bücher zurück, unter ihnen vermutlich die heute nach Gandersheim, Berlin und London versprengten Stücke Cluser Provenienz. Damit ist aus Clus eine der umfangreichsten Klosterbibliotheken Niedersachsens erhalten geblieben, deren Erschließung und Erforschung neue Einblicke und Einsichten in das reformierte benediktinische Klosterleben des späten Mittelalters erlaubt.

  • Bertram Lesser

Weiterführende Literatur

Hermann Herbst, Das Benediktinerkloster Klus bei Gandersheim und die Bursfelder Reform, Leipzig, Berlin 1932 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 50)

Paschasia Stumpf, Article “Clus”, in: Die Benediktinerklöster in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen, ed. by Ulrich Faust, St. Ottilien 1979 (Germania Benedictina 6), p. 109–131

Hans Goetting, Das Benediktiner(innen)kloster Brunshausen, das Benediktinerinnenkloster St. Marien vor Gandersheim, das Benediktinerkloster Clus, das Franziskanerkloster Gandersheim, Berlin – New York 1984 (Germania sacra Neue Folge 8: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz, Das Bistum Hildesheim 2), p. 167–301

Bertram Lesser, Johannes von Brakel: Buchbinder und Schreiber im Benediktinerkloster Clus, in: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 38 (2013), p. 77–121

Bertram Lesser, Die Benediktiner von Clus und ihre Bücher. Exemplarische Analyse und Rekonstruktion der Konventsbibliothek, in: (Hrsg.): Zentrum oder Peripherie? Kulturtransfer in Hildesheim und im Raum Niedersachsen (12.–15. Jahrhundert), ed. by Monika E. Müller and Jens Reiche, Wiesbaden 2017 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 32), p. 165–228